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Und zwar knüpfe ich an eine Diskussion über Willensfreiheit und Determinismus an, die in den letzten Jahren zu zahlreichen Publikationen von Neurowissenschaftlern und Philosophen im deutschsprachigen Raum geführt hat. Implizit betrifft diese Diskussion auch das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften. Ich werde daher zu Beginn und am Ende meines Vortrags auch über den Ort der Geisteswissenschaften in ihrem Verhältnis zu den Naturwissenschaften sprechen. Das Wort Geisteswissenschaften legt den Gedanken nahe, daß der Gegenstand dieser Wissenschaften der Geist ist, im Gegensatz zur Natur als dem Gegenstand der Naturwissenschaften. „Geist“ steht hier für etwas der menschlichen Welt Eigentümliches: Geschichte, Literatur, Kunst, die Vielfalt der Sprachen und Kulturen, auch die Wissenschaft selbst als Wirklichkeitssphären, in denen der menschliche Geist sich manifestiert und objektiviert, Wirklichkeitssphären sui generis, deren Erforschung andere Zugangsweisen und Methoden erfordert als sie für die Naturwissenschaften charakteristisch sind, weil die Forscher als Forschende selbst Teil dieser Wirklichkeitssphären sind: als sprechende und handelnde Akteure, als Wissenschaftler, als interpretierende Rezipienten von Literatur und Kunst. Auch die Philosophie, obwohl selbst keine Wissenschaft, rechnet man, für gewöhnlich zu den Geisteswissenschaften, Das liegt daran, dass sie zu allen Wissenschaften im Verhältnis einer interpretierend-reflektierenden Klärung ihrer jeweiligen Voraussetzungen und Erkenntnisansprüche steht, dass für sie also auch die Naturwissenschaften zur Sphäre des Geistes gehören. Ich habe eben den Gegenstand der Geisteswissenschaften als eine Wirklichkeitssphäre sui generis bezeichnet, unterschieden von der Natur als dem Gegenstand der Naturwissenschaften. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Ein Gemälde, etwa Picassos berühmtes Gemälde Guernica, gehört in gewissem Sinne beiden Wirklichkeitssphären an: Als Kunstwerk ist es Gegenstand einer ästhetischen Erfahrung und, von solcher Erfahrung ausgehend, Gegenstand eines kunstkritischen Diskurses und zugleich Gegenstand einer kunstwissenschaftlichen Forschung, die das Bild auf seine Einflüsse, Anlässe, seine genealogischen Entstehungsbedingungen, seinen Ort im Werk Picassos hin usw. untersucht. Aber dasselbe Gemälde ist auch ein materieller Gegenstand, der sich naturwissenschaftlich in vielerlei Hinsichten untersuchen lässt. Schon wenn man sein Gewicht und seine räumlichen Dimensionen mißt, was für Zwecke seines Transports wichtig sein mag, wird es als bloßes materielles Ding angesehen; es könnte aber auch zum Gegenstand radiologischer Untersuchungen werden, die heute in vielen Fällen ja wichtig sind, um Alter oder auch Echtheit von Gemälden zu bestimmen. In beiden Fällen, dem der Kunstkritik bzw. der kunstwissenschaftlichen Untersuchung einerseits und dem einer naturwissenschaftlichen Untersuchung handelt es sich in einem Sinn um denselben Gegenstand, in einem anderen Sinn um zwei gänzlich verschiedene Gegenstände: um ein Kunstwerk im einen Fall, um eine materielles Ding im anderen. Als Kunstwerk gehört es der Wirklichkeitssphäre des „Geistes“ an, als materielles Ding der Sphäre natürlicher Gegenstände, von möglichen Objekten der Naturwissenschaft. Was sich an diesem Beispiel zeigt, ist, daß die Wirklichkeitssphären des Geistes und der Natur ebenso verschieden sind wie sie auch miteinander zusammenhängen. Das Gemälde als Gegenstand der Kunstkritik und Kunstwissenschaft könnte es nicht geben ohne seine „Verkörperung“ in einem materiellen Substrat, das ein möglicher Gegenstand der Naturwissenschaft ist. Als Gegenstand der Naturwissenschaft aber verliert es alle jene Eigenschaften, die es zum Kunstwerk machen; oder, anders gesagt, zum Gegenstand einer naturwissenschaftlichen Untersuchung wird es dadurch, daß von all dem, was es zum Kunstwerk macht, abgesehen wird. Der Naturwissenschaftler sieht das Gemälde nicht als Gemälde, sondern nur als materielles Ding (was es auch ist). Dies gibt uns einen ersten Hinweis auf die Verschränkung von Geist und Natur, denn was ich über das Gemälde als Kunstwerk gesagt habe, gilt allgemein: Was ich bisher als „Geist“ – als Gegenstand der Geisteswissenschaften – bezeichnet habe, hat immer auch einen materiellen Aspekt, der einer naturwissenschaftlichen Objektivierung zugänglich ist. Auch die Sprache, im weitesten Sinn verstanden der Ort des Geistes, hat ja eine materielle Seite, sowohl in ihrer lautlichen als in ihre schriftlichen Form, und ist insofern mit der materiellen Natur verschränkt. Die Wirklichkeitssphäre, die ich hier als Gegenstand der Geisteswissenschaften bezeichnet habe, ist die des objektiven Geistes, wie man mit Hegel sagen könnte. Es ist aber evident, daß diese Sphäre des objektiven Geistes, also die menschliche Kultur im weitesten Sinne, an die Manifestationen eines subjektiven Geistes gebunden sind, also an die menschlichen Fähigkeiten des Denkens, Handelns, Überlegens, Verstehens und Urteilens. In einem ganz anderen Sinn als die Gestalten des objektiven Geistes haben aber auch die scheinbar immateriellen Manifestationen des subjektiven Geistes wie Gedanken, Wünsche, Überlegungen oder das Selbstbewußtsein von Individuen einen materiellen Aspekt: Nicht nur sind sie weitgehend an Sprache gebunden oder durch Sprache vermittelt, als geistige Prozesse oder Zustände sind sie vielmehr auf das materielle Substrat von Gehirnprozessen angewiesen, in denen sie sich gleichsam materiell realisieren. Die geistigen Fähigkeiten der Menschen sind das Resultat eines natürlichen Evolutionsprozesses, nicht zuletzt das einer Evolution des Gehirns, durch welche erst all die Manifestationen des objektiven und subjektiven Geistes, von denen ich gesprochen habe, möglich wurden. Also auch in diesem Sinn können wir von einer Naturbasis des Geistes sprechen, von einer Verschränkung von Natur und Geist. Allerdings gilt dies für die Manifestationen des subjektiven Geistes in anderer Weise als im oben diskutierten Fall von Kunstwerken. Während das materielle Substrat von Kunstwerken gleichsam vor aller Augen liegt – es bedarf lediglich eines Blickwechsels, um in einem Gemälde bloß noch ein materielles Ding mit bestimmten Dimensionen und einer bestimmten Schwere zu sehen – liegt bei den scheinbar immateriellen Manifestationen des subjektiven Geistes deren materielle Substrat nicht vor aller Augen; nur deshalb konnte ja die Philosophie auf die Idee kommen, die Sphäre des Geistes als eine immaterielle Sphäre jenseits der Natur zu begreifen. Auch für Kant ist das transzendentale „Ich“ noch eine der Natur enthobene, ihr gleichsam vorgeordnete Instanz. Zwar hatte Kant, wie ich glaube, recht, wenn er das transzendentale Subjekt als eine Instanz jenseits der Sphäre der Erscheinungen begriff, aber das liegt nur daran, daß für ihn diese Sphäre der Erscheinungen im Grunde mit der der naturwissenschaftlich objektivierbaren Realität zusammenfiel. In ihr kann es ein Ich als erkennendes und moralisches Subjekt nicht geben. Aber natürlich ist auch das Ich und sind die Manifestationen des subjektiven Geistes Teil der empirischen Welt; das Geheimnis des transzendentalen Subjekts ist, daß es einer naturwissenschaftlichen Objektivierung nicht zugänglich ist, weil es einer anderen – gleichwohl empirischen – Wirklichkeitssphäre angehört als derjenigen der bloß materiellen Dinge und Ereignisse, nämlich der Welt des subjektiven und objektiven Geistes, das heißt dem normativ strukturierten Sprach- und Praxiszusammenhang der menschlichen Lebenswelt. Insofern ist das Ich ein wesentlich verkörpertes Ich, angewiesen auf einen Körper als möglichem Gegenstand einer naturwissenschaftliche Objektivierung und zugleich als der Naturbasis alles dessen, worin es sich einer naturwissenschaftlichen Objektivierung auch wieder entzieht – letzteres deshalb, weil die naturwissenschaftlichen Objektivierung, wie ich oben gesagt habe, sich gerade dadurch charakterisieren läßt, daß sie von allen jenen Aspekten der Wirklichkeitssphären des objektiven und subjektiven Geistes absieht, die für diese Wirklichkeitssphären als solche konstitutiv sind. Handlungen, Bedeutungen, Intentionen, Kunstwerke, Institutionen oder Geschichten verlangen zu ihrer Beschreibung eine Vokabular, daß in einer auf die Erkenntnis nomologischer Zusammenhänge von materiellen Prozessen ausgerichteten Naturwissenschaft keinen Platz hat; insofern kann eine naturwissenschaftliche Untersuchung des materiellen Substrats von Manifestationen und Gestalten des objektiven und subjektiven Geistes diese niemals als solche Manifestationen des Geistes begrifflich einholen. Oder so scheint es jedenfalls prima facie. 2. Jedoch tritt die Neurowissenschaft heute vielfach mit dem Anspruch einer Reduktion des subjektiven Geistes auf Gehirnprozesse auf. Soweit dies der Fall ist, versteht sie Gehirnprozesse nicht nur als das materielle Substrat von Bewußtseinsvorgängen und geistigen Akten wie Gedanken, Gefühlen, Intentionen, Erinnerungen oder Überlegungen, sondern als identisch mit solchen Bewußtseinsvorgängen und Akten, das heißt als das eigentlich Wirkliche hinter solchen Bewußtseinsvorgängen und geistigen Akten. Das hat insbesondere Konsequenzen für das Problem der Willensfreiheit, die unter solchen Voraussetzungen als eine Illusion erscheinen muß. Alltagssprachlich verstehen wir einander als handelnde Akteure, die für ihre Handlungen verantwortlich sind und die insofern in ihrem Handeln frei sind, als sie die Fähigkeit haben, ihren Willen durch Gründe zu bestimmen; handelnde Akteure, die einander Rechenschaft geben können über die Gründe ihres Handelns, und die nicht nur blind ihren jeweiligen Wünschen und Motiven nachgeben, sondern die sich reflektierend und überlegend über solche unmittelbaren Wünsche und Motive auch hinwegsetzen können, indem sie übergeordnete Gründe und Motive, etwa auch solche moralischer Art für sich zur Geltung bringen. Von Willensfreiheit zu sprechen heißt insofern, von einer Fähigkeit zur Selbstbestimmung durch Gründe zu sprechen, die nicht nur ein Ausdruck unmittelbarer Wünsche und Motive sind, sondern in denen sowohl ein weitergehenden Zukunftsbezug des Handelns als auch die Forderungen eines intersubjektiven Lebenszusammenhangs zur Geltung kommen. Willensfreiheit, so verstanden, ist die Freiheit, den eigenen Willen durch Gründe bestimmen zu können. Genau so verstanden ist Willensfreiheit die Freiheit zur Selbstbestimmung. Natürlich ist es kein Zufall, daß sich – wie Neurowissenschaftler zu betonen pflegen – auf der Ebene der naturwissenschaftlich objektivierten Gehirnprozesse weder ein „Selbst“ der Selbstbestimmung noch ein Unterschied zwischen „freien“ und „unfreien“ Entscheidungen finden läßt. Der Gegenstand der Naturwissenschaften – und zu ihr gehört die Neurowissenschaft – ist die materielle Welt als ein nomologischer Zusammenhang beobachtbarer und meßbarer Phänomene. Der kausale Determinismus ist gleichsam in den methodischen Zugriff einer naturwissenschaftlichen Objektivierung der Welt eingebaut. Soweit dieser kausale Determinismus etwa auf der Ebene der Elementarteilchen in der Physik durch die Entdeckung von Zonen der „Unbestimmtheit“ in Frage gestellt werden könnte, würde sich natürlich mit Bezug auf das Freiheitsproblem nichts ändern: Willensfreiheit hat nichts mit „Indeterminismus“ zu tun; vielmehr ist der freie Wille – so wie ich es bisher verstanden habe – ein determinierter Wille, nur eben nicht determiniert im Sinn der Naturkausalität, sondern durch Gründe; Gründe aber sind immer Gründe für jemanden, gerade deshalb kann man Willensfreiheit als Selbstbestimmung verstehen. Die Rede über selbstbestimmtes Handeln und die Rede über neuronale Prozesse gehören verschiedenen Beschreibungseben oder „Sprachspielen“ an. Im einen Fall sprechen wir über kausal determinierte neuronale Prozesse, im andern Fall über Phänomene – Handlungen, Intentionen, Überlegungen und Entscheidungen – die per definitionem in der Beschreibung rein materieller Prozesse nicht vorkommen können, so ähnlich wie in einer physikalischen Untersuchung von Gemälden das Gemälde als Kunstwerk gleichsam unsichtbar wird. Wenn daher Neurowissenschaftler sagen, das Gehirn entscheide und nicht die handelnden Akteure, vermischen sie einfach diese beiden Beschreibungsebenen; auf der Ebene der Gehirnprozesse kann es Entscheidungen aus grammatischen Gründen nicht geben. Das Wort „Entscheidung“ gehört zu einem anderen Sprachspiel, nämlich zu dem Sprachspiel, in das wir als sprechende und handelnde Akteure verwickelt sind. Allerdings wird ein solches Argument dem Anspruch der Neurowissenschaften nicht wirklich gerecht. Deren Anspruch gründet sich ja gerade darauf, daß sie Bewußtseinsphänomene und geistige Akte durchaus mit neuronalen Prozessen empirisch in einen Erklärungszusammenhang zu bringen versucht. Ich erspare es mir, auf die experimentellen Anordnungen einzugehen, in denen dies geschehen ist und in denen empirische Zusammenhänge zwischen elementaren Wahrnehmungen, Entscheidungen oder Gefühlen mit bestimmten neuronalen Prozessen oder Erregungsmustern festgestellt worden sind. In solchen Experimenten wird ja ein Erklärungszusammenhang zwischen neuronalen und mentalen Prozessen oder Zuständen hergestellt, so daß hier zwischen dem Sprachspiel der Handlungen, Wahrnehmungen und Intentionen und dem neurophysiologischen Beschreibungsvokabular scheinbar eine Brücke hergestellt wird dergestalt, daß Bewußtseinsphänomene in den nomologischen Zusammenhang der Gehirnprozesse gleichsam eingeholt werden. Nur wenn sich eine solche Brücke bauen läßt, kann ja von einer Reduktion der Bewußtseinsphänomene auf neuronale Prozesse im Ernst die Rede sein. Schon Donald Davidson hat jedoch gezeigt, daß ein solcher nomologischer, das heißt gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen mentalen und neurophysiologischen Vorgängen sich prinzipiell nicht herstellen lässt: Das Beschreibungsvokabular, das wir verwenden, wenn wir über Intentionen, Handlungen und Gründe sprechen, lässt sich deshalb nicht in das Beschreibungsvokabular für gesetzmäßige physikalische Prozesse integrieren, weil beide Beschreibungsvokabulare unterschiedlichen grammatischen Regeln gehorchen; „Es gibt“, so Davidson, „keine strikten psychophysischen Gesetze, weil das, was durch die mentalen und physikalischen Schemata festgelegt wird, ganz disparat ist. Es ist ein Merkmal des physischen Realität, daß der physische Wandel durch Gesetze beschrieben werden kann, die ihn mit anderen physikalisch beschriebenen Veränderungen und Bedingungen in Zusammenhang bringen. Es ist ein Merkmal des Geistigen, daß die Zuschreibung geistiger Phänomene dem Hintergrund aus Gründen, Überzeugungen und Absichten des Individuums verantwortlich sein muß......Meines Erachtens müssen wir zu dem Schluß kommen, daß es, solange wir den Menschen als rationales Wesen auffassen, wesentlich ist, daß zwischen dem Geistigen und dem Physischen keine nomologisch starre Beziehung gibt.“ Davidson bestreitet nicht, daß jedes mentale Ereignis ein neurophysiologisches Korrelat hat, auch bestreitet er nicht, daß sich empirische Korrelationen zwischen neurophysiologischen Ereignissen und Bewußtseinphänomenen finden lassen, was er bestreitet ist vielmehr, daß ein nomologischer Zusammenhang zwischen neurophysiologischen und mentalen Phänomenen wie Intentionen, Überlegungen und Entscheidungen möglich ist. Soweit man also sagen kann, daß mentale Vorgänge mit einem neurophysiologischen Prozeß identisch sind, heißt das nicht – und kann es nicht heißen –, daß sich die mentalen Vorgänge naturgesetzlich-kausal durch die Neurophysiologie erklären lassen. Der Übergang vom einen zum anderen Sprachspiel kann aus begrifflichen Gründen nicht im Sinn eines kausalen und das heißt: eines nomologischen Zusammenhangs begriffen werden. Wenn es sich aber so verhält, dann muß jeder Versuch, die Willensfreiheit mit neurophysiologischen Argumenten als Illusion zu entlarven, sich als category mistake erweisen, das heißt als methodisch fragwürdige Vermischung zweier Begrifflichkeiten, die einen unterschiedlichen und jeweils nicht substituierbaren Ort in der menschlichen Lebenspraxis haben. Damit stellt sich jedoch die Frage neu, wie sich diese beiden Begrifflichkeiten oder Beschreibungsvokabulare zueinander verhalten. Ich habe zu zeigen versucht, daß eine Reduktion des freien Willens auf naturgesetzlich determinierte Naturprozesse aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist. Es gibt jedoch auch Philosophen, die zwar die „Innenansicht“ der Handelnden – wie Tugendhat sie genannt hat – und die damit verbundene Unterstellung der Willensfreiheit für unhintergehbar, das heißt nicht illusionär halten und die gleichwohl die Willensfreiheit für kompatibel halten mit der Annahme eines durchgängigen kausalen Determinismus. Demnach wäre für das menschliche Handeln die Innenansicht der Handelnden, demgemäß sie ihren Willen durch Gründe bestimmen können, unhintergehbar, nicht-illusionär und nicht „übersetzbar“ in die Sprache objektiver Kausalzusammenhänge, aber gleichwohl vereinbar mit einem durchgängigen kausalen Determinismus. Es ist diese Annahme einer Kompatibilität von Willensfreiheit und Determinismus, die ich zum Analaß nehmen möchte, meine Reflexionen über die Natur im Geist noch einmal neu anzusetzen. 3. Was ich bisher zu zeigen versucht habe, ist, daß das Beschreibungsvokabular, in dem wir über Personen, ihre Intentionen, Handlungen, Gründe und Entscheidungen sprechen, gleichsam quersteht zu dem Beschreibungsvokabular, mit dessen Hilfe die Neurowissenschaften komplexe Gehirnprozesse als kausal determinierte Naturprozesse beschreiben und erklären. Statt von zwei unterschiedlichen Beschreibungsvokabularen kann man auch von zwei unterschiedlichen „Sprachspielen“ sprechen, denen zwei unterschiedlichen Perspektiven entsprechen, aus denen wir auf die Wirklichkeit Bezug nehmen können. Diese beiden Perspektiven hat Habermas als die von Teilnehmern am sprachlich vermittelten Handlungszusammenhang der Lebenswelt, auf der einen Seite, und als die von Beobachtern der Wirklichkeit als eines naturgesetzlich ablaufenden Geschehens auf der anderen Seite charakterisiert. Beide Perspektiven sind in den Strukturen der sprachlich-kommunikativ verfaßten menschlichen Lebenswelt selbst verankert. Habermas versucht, dies an der Rolle zu verdeutlichen, die die Personalpromina in der Umgangssprache spielen: In der ersten und zweiten Person verstehen Sprecher und Akteure einander als Sprecher und Akteure, die in einem normativ verfaßten intersubjektiven Raum der Gründe sich miteinander über etwas in der Welt verständigen, für ihre Behauptungen und Handlungen Rechenschaft voneinander verlangen und die einander Verantwortung für ihre Handlungen zuschreiben. Erst auf diesem Hintergrund wird die Beobachterperspektive von Sprechern in der dritten Person verständlich, die sich auf die Welt als die Gesamtheit objektiver Tatsachen bezieht. Habermas will darauf hinweisen, daß die Naturwissenschaft selbst noch eine Form menschlicher Praxis ist, so daß also für die Naturwissenschaftler als Teilnehmer an einen intersubjektiven Forschungsprozeß neben ihrer Beobachterperspektive eine Teilnehmerperspektive grundlegend bleibt: Sie müssen sich über Forschungsresultate und Methoden verständigen, sie verlangen Rechenschaft voneinander über die Gründe, mit denen sie ihre theoretischen oder empirischen Aussagen stützen, kurzum, ihre Teilnehmerperspektive im Diskurs der Wissenschaft ist die Bedingung der Möglichkeit einer naturwissenschaftlichen Objektivierung der Welt. „Die Objektivität der Welt“, so Habermas, konstituiert sich für einen Beobachter nur zugleich mit der Intersubjektivität der möglichen Verständigung über das, was er vom innerweltlichen Geschehen kognitiv erfaßt. Erst die intersubjektive Prüfung subjektiver Evidenzen ermöglicht die fortschreitende Objektivierung der Natur. Darum können die Verständigungsprozesse selbst nicht im Ganzen auf die Objektseite gebracht, also nicht vollständig als innerweltlich determiniertes Geschehen beschrieben und auf diese Weise objektivierend ‚eingeholt‘ werden,“ Aus dieser Nicht-Einholbarkeit der Teilnehmer- durch die Beobachterperspektive folgert Habermas, dass Willensfreiheit und Determinismus nicht miteinander kompatibel sind. Auch wenn ich Habermas“ Schlußfolgerung zustimme, finde ich seine Begründung doch problematisch. Ich glaube nicht, daß eine Reflexion auf die Rolle der Personalpronomina in der natürlichen Sprache die Begründungslast tragen kann, die Habermas ihr aufbürdet. Die Rolle der dritten Person läßt sich nämlich nicht mit der Beobachterperspektive des Naturwissenschaftlers kurzschließen. Vielmehr ist sie, wie Audun Ofsti und Martin Seel gezeigt haben, ein internes Korrelat der „performativen“ Teilnehmerperspektive selbst. Ein Wechsel von der performativen Einstellung von Teilnehmern am „Sprachspiel der verantwortlichen Urheberschaft“ zur „Beobachterperspektive“ einer dritten Person findet ja auch dann statt, wenn etwa meine Äußerung „Ich verspreche Dir morgen zu kommen“ von einer „dritten Person“ in die Aussage transformiert wird „Er hat ihm versprochen, morgen zu kommen“. Die Beobachterperspektive der dritten Person ist also zunächst einmal die Perspektive dessen, der empirische Tatsachen beschreibt, die zur Lebenswelt der Teilnehmer am „Sprachspiel“ der menschlichen Praxis gehören. Das Sprachspiel der verantwortlichen Urheberschaft, wie Habermas es nennt, ist Teil eines umfassenden Sprachspiels, in dem Teilnehmer- und Beobachterperspektive immer schon miteinander verschränkt sind, ein Sprachspiel, durch das uns eine Welt erschlossen ist, in der es neben Handlungen, Gründen und Entscheidungen auch Institutionen, Bücher, Kunstwerke, Häuser, Werkzeuge, Eheschließungen, Abstimmungen Parlamente, Staaten, Kriege, Friedenschlüsse und Revolutionen gibt – also eine empirische Wirklichkeit sui generis, die sich aus der Perspektive einer dritten Person, etwa auch der eines Historikers oder Soziologen als diese empirische Wirklichkeit auch beschreiben läßt. Hier ist die Teilnehmerperspektive nicht nur die Voraussetzung einer möglichen Beobachterperspektive – worauf ja auch Habermas im Hinblick auf den naturwissenschaftlichen „Beobachter“ hinweist –, vielmehr ist hier auch das Feld der Beobachtung nur aus einer Teilnehmerperspektive zugänglich. Auch die objektivierenden Leistungen etwa der Sozialwissenschaft, in denen kausale oder systemische Zusammenhänge erforscht werden, die sich hinter dem Rücken der bewußt und intentional handelnden Akteure wirksam sind, sind letztlich gebunden an die Perspektive von Teilnehmern am sozialen und geschichtlichen Lebenszusammenhang; sie dürfen nicht verwechselt werden mit den objektivierenden Leistungen der Naturwissenschaft, denn diese beruhen, wie gesagt, auf einem methodischen Absehen von all dem, was die menschliche Lebenswelt zu einer sozialen und geschichtlichen Lebenswelt macht. Die Beobachterperspektive der dritten Person, von der Habermas spricht, läßt sich somit nicht gleichsetzen mit der Perspektive eines Naturwissenschaftlers, der die Welt als einen nomologischen Zusammenhang beobachtbarer und meßbarer Phänomene objektiviert. Diese letztere Perspektive ist vielmehr in anderer Weise im Praxiszusammenhang der menschlichen Lebenswelt verankert als Habermas es nahezulegen scheint, nämlich in den Formen instrumentellen Handelns und des instrumentellen Umgangs mit Dingen, die zu dieser Lebenswelt wesentlich hinzugehören. Der Begriff der Naturkausalität ist, wie von Wright gezeigt hat, gebunden an die Möglichkeit eines instrumentellen Eingriffs in die Natur und das mit ihm verbundene Wissen um ein „Wenn-so“ – wenn ich dies oder das tue, so wird dies oder das geschehen. Die Naturwissenschaft beginnt mit der Sammlung von elementaren Formen des kausalen Wissens und des Wissens um natürliche Regelmäßigkeiten, wie sie sich im Kontext des praktischen Umgangs mit der natürlichen Umwelt der menschlichen Lebenswelt herausgebildet hatten. Aber erst die moderne mathematische Naturwissenschaft transformiert dies kausale Wissen in ein Wissen um allgemeine gesetzmäßige Zusammenhänge beobachtbarer und meßbarer Phänomene; sie entwirft, so könnte man mit Heidegger sagen, die Welt als einen nomologischen Zusammenhang beobachtbarer und meßbarer Phänomene. Die Fortschritte der Naturwissenschaft haben den Bereich des gewußten und beherrschbaren „Wenn-so“, also den Bereich unseres technischen Wissens, aber nur deshalb ins Ungemessene erweitern können, weil ihre Gesetzmäßigkeiten, ihrer logischen Grammatik nach, auf die Ableitung von Wenn-so-Sätzen bezogen bleiben, die sich für bestimmte praktische Kontexte jeweils spezifizieren und nutzbar machen lassen. In diesem Zusammenhang nehmen die Neurowissenschaften eine singuläre Stellung ein, weil sie sich nicht auf die Untersuchung eines kausal determinierten Naturgeschehens – dasjenige der Gehirnprozesse nämlich – beschränken wollen und beschränken können; es gehört ja zum Sinn ihres Unternehmens, eine Brücke zu schlagen zwischen dem neurologischen Substrat von Bewußtseinsvorgängen und diesen selbst, so wie sie sich aus der Teilnehmerperspektive von Sprechern und Handelnden darstellen. Und es ist ja kaum ein Zweifel, daß sie zu Erkenntnissen derart kommen können, daß etwa bestimmte Hirnareale unverzichtbar sind für bestimmte geistige Leistungen – etwa für Wahrnehmung, Gedächtnis, Sprachfähigkeit, Sprachverstehen usw. – oder das bestimmte Eingriffe in das Gehirn bestimmte Folgen mit Bezug aus solche Fähigkeiten haben. Daran zeigt sich, daß Gehirnprozesse in der Tat die ermöglichende Grundlage aller geistigen Prozesse sind (worüber ja auch kaum heute noch ein Dissens bestehen dürfte). Es handelt ich um ein kausales Wissen in dem Sinn, daß notwendige Naturbedingungen bestimmter geistiger Leistungen erforscht werden, wodurch sich natürlich auch schon Möglichkeiten eines Eingriffs in Gehirnprozesse ergeben, durch welche die natürlichen Voraussetzungen bestimmter geistiger Leistungen wieder hergestellt oder auch zerstört werden könnten. Jedoch liegt gerade in dem Umstand, daß die Neurowissenschaften eine Brücke zwischen neuronalen Prozessen und geistigen Fähigkeiten schlagen müssen, auch der Grund dafür, daß sie „Geist“ und „Natur“ nicht in einen gesetzmäßig-kausalen Zusammenhang miteinander bringen können, nichts anderes besagt letzten Endes auch die Nichtübersetzbarkeit des Handlungsvokabulars in ein neurologisches Vokabular. 4. Nun können sich die heute virulenten Versionen eines reduktiven Naturalismus, eines Naturalismus, dem die Annahme zugrunde liegt, daß die Naturwissenschaft, wie Wilfrid Sellars es ausgedrückt hat, daß Maß dessen ist, was ist, daß es ist und was nicht ist, daß es nicht ist – diese Versionen eines reduktiven Naturalismus, für die die naturwissenschaftlich objektivierte Wirklichkeit einer kausal determinierten Welt das Maß von Wirklichkeit überhaupt ist, können sich darauf berufen, daß die Naturwissenschaft ja hinter die geschichtliche Welt der Menschen zurückgreift bis auf die Anfänge des Universums und daher die anthropozentrischen Weltbilder früherer Zeiten nachhaltig destruiert und insofern zu einem gewaltigen Aufklärungsschub auch für das Selbstbild der Menschen geführt hat. Die menschliche Lebenswelt hat sich spätestens seit Darwin als Produkt einer naturgeschichtlichen Evolution erwiesen und damit, so scheint es, als bloß eine neue und komplexe Konfiguration jener materiellen Prozesse, die der Entwicklung des Universums im Ganzen zugrunde liegen. Von daher müssen die Sphären des subjektiven und objektiven Geistes als späte und gleichsam provinzielle Emanationen einer Naturgeschichte erscheinen, die aber letztlich doch nichts anderes sind als emergente Phänomene, die den gleichen allgemeinen Naturgesetzen gehorchen, wie sie der Entwicklung des Universums im Ganzen zugrunde liegen. Ein solches Argument ließe sich zuspitzen: Wenn die materiellen Prozesse, die allem Geschehen in der Welt zugrunde liegen, deterministischen oder probabilistischen Naturgesetzen gehorchen, dann macht es keinen Sinn, anzunehmen, dass diese Naturgesetze auf höheren Stufen der Evolution außer Kraft gesetzt werden könnten. Dies zuzugestehen heißt jedoch nicht auch zuzugestehen, dass alles Geschehen in der Welt naturgesetzlich kausal determiniert sein muß. Wenn etwa für die Entwicklung des Gehirns, wie dies auch Neurowissenschaftler zugestehen, die soziale und kulturelle Umwelt mitbestimmend ist, so lassen sich die Gehirnprozesse nicht als gleichsam autonome materielle Prozesse verstehen; sie lassen sich vielmehr nur in ihrer Wechselwirkung mit externen, sozialen und kulturellen Determinanten verstehen, die sich jedoch, wie ich zu zeigen versucht habe, prinzipiell nicht in einen naturgesetzlich-kausalen Zusammenhang mit diesen Gehirnprozessen bringen lassen. Wenn hier von Kausalität die Rede sein kann, dann muß sie, wie ich noch zeigen werde, anders verstanden werden als im nomologischen Sinn der Physik. Auch wenn also zugestanden wird, dass kein Geschehen in der Welt gegen die physikalischen Naturgesetze verstoßen kann, folgt daraus nicht, dass alles Geschehen in der Welt naturgesetzlich-kausal determiniert ist. Ich habe vielmehr zu zeigen versucht, dass sich die entsprechende These einer durchgängigen naturgesetzlich-kausalen Determiniertheit alles Geschehens in der Welt aus prinzipiellen Gründen nicht empirisch einlösen lässt; damit wird sie aber zu einer metaphysischen These. Wenn es sich aber so verhält, steht es mit der Annahme einer Kompatibilität von Willensfreiheit und Determinismus nicht besser, selbst wenn sie mit dem Zugeständnis verbunden ist, dass wir nicht wissen oder vielleicht auch nicht wissen können, ob der Determinismus zutrifft. Wie Martin Seel gezeigt hat, liegt der Bescheidenheit eines solchen Ignoramus immer noch derselbe Kategorienfehler zugrunde, der auch einer starken Determinismus-These zugrundeliegt. 5. Und doch: Wenn zugestanden wird, dass die menschliche Lebenswelt aus einem Prozeß der natürlichen Evolution hervorgegangen ist, einem Evolutionsprozeß, der in ferner Vergangenheit mit der Evolution der einfachsten Organismen begonnen hat, ohne dass irgendeine Instanz jenseits dieses natürlichen Evolutionsprozesses in diesen Prozeß eingegriffen hätte, dann, so scheint es, muß auch zugestanden werden, dass auch die Sphäre des Geistes keinen Ort jenseits der Natur haben kann. Jedoch müssen wir uns überlegen, welchen Sinn es haben kann zu sagen, dass die Sphäre der Geistes letztlich zur Sphäre der Natur gehört. Wir haben uns klargemacht, daß alles, was zur Sphäre des Geistes gehört, einen materiellen Aspekt hat, der zum Gegenstand einer objektivierenden Naturwissenschaft werden kann. Zugleich habe ich zu zeigen versucht, daß die Sphäre des Geistes einen ontologischen Eigenrang hat und sich nicht auf die der objektivierten Natur reduzieren läßt. Gleichwohl gilt, daß wir als lebendige und handelnde Wesen, wie Adorno sagt, „ein Stück Natur“ sind und daß daher auch die Sphäre des Geistes nicht ein bloßes Jenseits der Natur sein kann. Jedoch ist der Begriff der Natur, den ich hier mehrfach verwendet habe, zweideutig: die Natur, derer wir uns als unserer eigenen Natur im Handeln und Überlegen bewußt sind und die Adorno meint, ist nicht die Natur der wissenschaftlich objektivierten Gehirnprozesse, sondern die lebendige Natur unseres Leibes mit seiner Bedürftigkeit, seinen Impulsen und seinen Triebregungen. Unsere Erfahrungen von Freiheit und Unfreiheit des Willens sind primär an Erfahrungen mit dieser leiblichen Natur gebunden. Wir kommen als hilflose Wesen auf die Welt und werden erst durch einen Sozialisationsprozeß zu handelnden Wesen, die in einem sozialen „Raum von Gründen“ miteinander kommunizieren, einander Rechenschaft geben und einander als „vernünftige“, das heißt für ihre Handlungen verantwortlichen Akteure anerkennen, die sich als über die Zeit hinweg mit sich selbst identisch wissen. Unsere natürliche Ausstattung, unsere Leibnatur ist hierbei die Grundlage und Bedingung all dessen, wozu wir als rationale Wesen werden können und wir sind uns dieser Grundlage auch als Handelnde jederzeit bewußt. Als natürliche Grundlage möglicher Willensfreiheit ist die lebendige Natur in uns jedoch zugleich der Grund für die Erfahrungen eine unfreien Willens. Ich will sagen: Unsere Unterscheidung zwischen einem freien und einem unfreien Willen beruht auf Erfahrungen, die wir aus der leibgebundenen Perspektive von Teilnehmern an einem intersubjektiven Handlungszusammenhang machen können. So wie wir Willensfreiheit verstehen, nämlich als die Fähigkeit, gegenüber unseren unmittelbaren Wünschen und Motiven eine reflektierende Distanz einzunehmen und unseren Willen nicht nur gemäß längerfristigen Wünschen und Motiven, sondern auch gemäß ethischen und moralischen Überlegungen durch Gründe zu bestimmen, kann uns gerade auch die Unfreiheit des Willens – sei es als Teilnehmern oder sei es als Beobachtern von Handlungszusammenhängen – zur Erfahrung werden: Furcht, Affekte, sexuelle Obsessionen oder Drogenabhängigkeit können uns daran hindern, das zu tun, was wir als richtig einsehen, unbewußte Motive können unser Handeln hinter unserm Rücken bestimmen und schließlich können und werden auch die im Prozeß der Sozialisation verinnerlichten Normen und die als „Habitus“ dem Körper durch seine Sozialisation eingeprägten Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata (Bourdieu) den Spielraum unseres Willens und der uns zugänglichen Überlegungen einschränken. Aber insofern diese Einschränkungen des freien Willens zum Gegenstand der Erfahrung aus der Perspektive von Teilnehmern an Handlungszusammenhängen werden können, können sie im Prinzip als solche bewußt und einer reflexiven Distanzierung zugänglich werden. Unbewußte Motive können im psychoanalytischen Prozeß als Einschränkungen unserer Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln bewußt und dadurch außer Kraft gesetzt werden, desgleichen können verinnerlichte, unserem Körper eingeprägte Normen, Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata zum Gegenstand einer reflexiven Distanzierung – oder auch einer reflektierten Anerkennung – werden. Freud hat als Prinzip der Psychoanalyse den Satz formuliert „Wo Es war, soll Ich werden“, er wäre zu ergänzen durch den Satz „Wo Über-ich war, soll Ich werden“, denn auch die im Prozeß der Sozialisation verinnerlichten Normen, Bewertungen und Gebote können den Spielraum möglichen Überlegens und daher die Freiheit des Willens einschränken. Am Beispiel der Psychoanalyse läßt sich noch etwas anderes zeigen, nämlich welche Rolle die Perspektive eines objektivierenden Beobachters auch im Zusammenhang der Lebenswelt spielen kann. Ich habe oben von der notwendigen Verschränkung von Teilnehmer- und Beobachterperspektive im Sprachspiel der Lebenswelt gesprochen, wobei ich aber die Perspektive des Beobachters als bloßes Korrelat der Teilnehmerspektive thematisiert habe: als Teilnehmer am Praxiszusammenhang der Lebenswelt sind wir notwendigerweise zugleich fähig, aus einer Beobachterperspektive über diese Lebenswelt als ein Feld von Tatsachen zu sprechen. In der Psychoanalyse kommt jedoch die Beobachterperspektive noch in einem anderen Sinn ins Spiel, nämlich als eine „objektivierende“ Perspektive, aus der das Verhalten eines Patienten als durch unbewußte Motive, Wünsche oder Traumata kausal bestimmt erscheint. Dem entspricht die temporäre Suspendierung einer moralisch bewertenden Einstellung zum Verhalten des Patienten durch den Psychoanalytiker, einer Einstellung die für die gewöhnliche Teilnehmer- und Beobachterperspektive konstitutiv ist. Aber diese objektivierende Perspektive ist im psychoanalytischen Prozeß bestimmt durch das Ziel, die unbewußten Determinanten im Verhalten des Patienten aufzulösen und ihm so ein selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen. Die objektivierende Perspektive ist hier bezogen auf das Ziel der Außerkraftsetzung eines hinterrücks wirkenden Kausalzusammenhangs im Verhalten des Patienten. Eine etwas andere, obwohl in der Zielsetzung vergleichbare Rolle spielt eine objektivierende Perspektive in den Sozialwissenschaften dort, wo diese die Genese von „Habitualisierungen“ des sozialen Verhaltens untersucht; hier dient sie der Aufklärung der Gesellschaft über die naturwüchsigen Prozesse, durch welche Spielräume der Freiheit und Selbstbestimmung eingeschränkt werden. In allen diesen Fällen ist die objektivierende Beobachterperspektive nicht zu verwechseln mit derjenigen des Naturwissenschaftlers, denn sie ist wesentlich bezogen auf das Ziel einer Erweiterung von Spielräumen selbstbestimmten Handelns. Sie setzt das „Sprachspiel der verantwortlichen Urheberschaft“ voraus; dieses ist der Hintergrund, auf den auch die Erfahrungen eines unfreien Willens bezogen bleiben. „Der Widerspruch von Freiheit und Determinismus“, hat Adorno gesagt, „ist einer der Selbsterfahrung der Subjekte, bald frei, bald unfrei.“ Erst durch diesen empirischen Blick auf das Problem der Willensfreiheit öffnet sich das Feld verschiedener Grade der Zurechenbarkeit von Handlungen, die insbesondere im Rechtssystem eine Rolle spielen, und es öffnet sich ein Feld möglicher empirischer Forschungen in der Psychologie und Soziologie, welche dazu beitragen können, Zonen eines partiell unfreien Willens ans Licht zu heben. Und in diesem empirischen Blick auf die Willensfreiheit ist schließlich auch der legitime Einsatz der Neurowissenschaften begründet: Wenn neuronale Prozesse die materielle Grundlage eines durch Gründe bestimmten Handelns sind, dann kann eine Störung dieser Prozesse, kann etwa eine Hirnverletzung die Ursache für den Ausfall bestimmter Fähigkeiten sein, die für ein durch Gründe bestimmtes Handeln notwendig sind. Insofern eröffnen die Fortschritte der Neurowissenschaft in der Tat ganz neue Perspektiven im Hinblick auf unser Verständnis der natürlichen Grundlagen geistiger Fähigkeiten; aber sie betreffen, wie schon gesagt, die naturhaften Grundlagen und Ermöglichungsbedingungen eines selbstbestimmten Handelns, sie können aber nicht, wie ich zu zeigen versucht habe, die lebensweltliche Perspektive auf das Feld eines durch Gründe bestimmten Handelns unterlaufen. Dem entspricht, daß die Einschränkungen des Spielraums selbstbestimmten Handelns, von denen ich oben gesprochen habe, immer bezogen sind auf die Perspektive von Teilnehmern am Handlungszusammenhang der Lebenswelt, die als solche einander immer schon als Akteure anerkennen, deren Handeln durch Gründe bestimmt ist und die für ihr Handeln verantwortlich sind. Diese Perspektive ist somit der Hintergrund, auf dem überhaupt erst die Phänomene eines unfreien Willens und auch der Willensschwäche zum Gegenstand der Erfahrung und zum Thema der Philosophie, der Erfahrungswissenschaften und nicht zuletzt auch der Literatur werden können. 6. Unsere Erfahrung mit der lebendigen Natur in uns ist keine Erfahrung mit der naturwissenschaftlichen objektivierten Natur, auch wenn der menschliche Leib, nicht nur in den Neurowissenschaften, sondern auch in der Medizin zunehmend zum Objekt der Naturwissenschaften geworden ist und niemand heute noch auf die Erkenntnisfortschritte und die therapeutischen Möglichkeiten der naturwissenschaftlichen Medizin verzichten möchte. Ich glaube jedoch es gibt Gründe für die Annahme, daß eine strikt nomologische Naturwissenschaft, deren Paradigma die mathematische Physik ist, schon im Bereich der lebendigen Natur an eine Grenze stößt, eine Grenze nicht des wissenschaftlichen Erforschbaren, was die materiellen Grundlagen der lebendigen Natur betrifft, sondern an die Grenze einer angemessenen Beschreibung und daher auch der Erklärung von Phänomenen der lebendigen Natur. Gewiß, auch in den biologischen Wissenschaften haben die Erkenntnisse von Physik und Chemie zu gewaltigen Forschritten im Verständnis von Lebensprozessen bzw. von deren materiellen Grundlagen geführt. Die Frage ist jedoch, ob sich die für uns beobachtbaren Phänomene der lebendigen Natur auf diese Weise zureichend beschreiben und erklären lassen. Gerade unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten sind wir konfrontiert mit dem Problem der Emergenz neuer Eigenschaften, Entitäten und Seinsweisen, für deren Beschreibung und Verständnis die Begriffe der Physik nicht ausreichen und die sich insofern auf physikalische Beschreibungen nicht reduzieren lassen. Das gilt insbesondere für die lebendige Natur der höher organisierten Tiere, denen wir in mehr oder weniger rudimentären Formen bereits Eigenschaften, Dispositionen und Verhaltensmöglichkeiten zuschreiben, die bei uns, den menschlichen Tieren, durch ihre symbolische Überformung, das heißt durch das neue Evolutionsniveau der sprachlichen Kommunikation mit neuen Freiheitsgraden versehen worden sind. Hierzu gehören die Triebnatur der Tiere, ihre Sexualität, ihr Empfindungsvermögen, ihre Formen der Kommunikation und die Vorformen eines rationalen Verhaltens. Es scheint, daß wir bei der Beschreibung der höheren Organisationsformen der lebendigen Natur auf ein Vokabular angewiesen sind, daß der Erfahrung unserer selbst als Teil der lebendigen Natur entspringt, das heißt unserer „Teilnehmerperspektive“ im Zusammenhang der lebendigen Natur. Ich muß meine diesbezüglichen Überlegungen hier abbrechen, damit mein Vortrag nicht zu lang wird. Ich werde lediglich ein Teilargument vortragen, das den Begriff der Kausalität betrifft: Wir müssen, wie ich glaube, was ich oben als eine den freien Willen einschränkende Kausalität beschrieben habe – und möglicherweise schon die kausale Wirksamkeit von Trieben und Instinkten, welche den Verhaltensspielraum von Tieren bestimmen – anders verstehen als der Gesetzesbegriff der Kausalität in der Physik es nahelegt, in deren Theorien der Begriff der Kausalität ja längst durch den der Naturgesetze substituiert worden ist. Der Begriff der Kausalität läßt sich auf den einer naturgesetzlichen Determination nicht reduzieren. Das hat insbesondere Curt John Ducasse gezeigt: Als kausal bezeichnen wir eine Beziehung zwischen zwei Ereignissen, wenn wir das Ereignis A als die notwendige und hinreichende Bedingung für das Eintreten des Ereignisses B deuten; so verstanden sind es nicht Humesche Regelmäßigkeiten, die uns auf die Idee der Kausalität gebracht haben, vielmehr ist es die kausale Deutung singulärer, beobachtbarer Ereignisfolgen, die dem Wissen um kausale Regelmäßigkeiten zugrunde liegt. In diesem Sinn entdecken wir kausale Relationen primär als beobachtbare Relationen zwischen einzelnen Ereignissen: Insbesondere verstehen wir als kausal bewirkt, was wir handelnd bewirken: Ich lasse die Vase fallen, und sie zerbricht; ich reiße ein Streichholz an und es beginnt zu brennen; jemand gibt mir einen Schlag auf den Kopf und ich falle bewusstlos zu Boden usw. Nach diesem Muster deuten wir aber auch die Beziehung zwischen bloß beobachteten Ereignissen als kausal: Daß die Vase zerbrochen ist, weil sie auf den Steinfußboden gefallen ist, daß die Hand schmerzt, weil ich sie ins Feuer gehalten habe, daß Fußabdrücke im weichen Boden entstanden sind, weil jemand dort gegangen ist, – dies alles sind kausale Beziehungen, die wir als solche wahrnehmen, und erst aus solchen Wahrnehmungen kann auch ein allgemeineres Wissen um kausale Regelmäßigkeiten entstehen. In einem analogen Sinn – wenn man den Begriff der Beobachtung nur entsprechend erweitert – wurde aber auch die Kausalität unbewußer Motive von Freud entdeckt; die „Beobachtung“ des Einzelfalls ist auch hier der Grund für die Verallgemeinerungen der Theoriebildung. In manchen der hier genannten Fälle unterstellen wir heute, daß die betreffenden Ereignisse sich im Prinzip als insgesamt gesetzmäßig determinierte Ereignisse darstellen ließen – das ist genau die Perspektive, aus der die mathematische Naturwissenschaft die Welt betrachtet. In anderen Fällen spielt aber eine solche Unterstellung keine Rolle; hier können wir die kausale Erklärung eines Ereignisses nicht als die primitive Vorform einer mit Hilfe von Naturgesetzen erklärbaren, deterministischen Relation zwischen verschiedenen Zuständen eines physikalisch beschriebenen Systems materieller Entitäten verstehen. „Causation“ so Ducasse, „is therefore not to be confused with causal law, as so often is done.“ Nicht jede kausale Erklärung ist eine implizit naturgesetzliche Erklärung. Das heißt, ob der Zusammenhang zwischen „Ursache“ und „Wirkung“, gleichsam in einer sekundären „Rationalisierung“, als ein nomologischer Zusammenhang sich darstellen läßt, hängt von der Art der „Ursachen“ und „Wirkungen“ ab. Es ist daher nur ein anderer Ausdruck einer metaphysischen Hypostasierung der Perspektive der Naturwissenschaft, wenn unterstellt wird, daß jeder kausale Zusammenhang sich als ein gesetzmäßig determinierter Zusammenhang materieller Ereignisse müßte darstellen lassen. 7. Aber selbst wenn man jetzt die These oder Annahme einer durchgängigen kausalen Determination alles Geschehens in der Welt im Sinn eines erweiterten Kausalbegriffs verstehen wollte, so wie ich ihn gerade erläutert habe, und dabei etwa Handlungsgründe als Handlungsursachen deuten würde, wäre sie, wie ich meine, gleichwohl unhaltbar. Denn auf der Evolutionsstufe des menschlichen Geistes wiederholt sich in potenzierter Weise, was ich schon für die Evolution der vormenschlichen Natur geltend gemacht habe, und zwar insofern als die Sphäre des sprachlich vermittelten Geistes der Ort einer beständigen Genese des immer wieder Neuen ist: Wissenschaftliche Theorien, Kunstwerke, Institutionen und neue Vokabulare, mit deren Hilfe wir die Welt und uns selbst neu beschreiben, sind Erzeugnisse des menschlichen Geistes, durch die etwas Neues in die Welt kommt, dessen notwendige Bedingungen in Gestalt von vorhergehendem Wissen, von Problemstellungen, sozialen Konstellationen, psychischen Dispositionen oder biographischen Voraussetzungen usw. sich zwar erforschen lassen, das sich aber auf solche Bedingungen nicht kausal reduzieren läßt. Daß es sich ereignet, zeigt, daß der Freiheitsspielraum des menschlichen Geistes sich in dem des freien Willens nicht erschöpft; vielmehr setzt die Freiheit des Willens diesen anderen, an Sprache gebundenen Freiheitsspielraum des Geistes voraus. Dieser manifestiert sich nicht zuletzt in der Sphäre der Kunst. Denn wie sehr wir auch die Genese von Kunstwerken verständlich machen mögen durch ihren Ort in einer Geschichte ästhetischer Problemstellungen, sozialer Bedingungen, psychischer Konstellationen oder biographischer Einflüsse, die Idee einer kausalen Erklärung ihrer Entstehung scheint absurd. Das wußte ja auch Freud, der zwar in den Kunstwerken die Spuren ihrer psychischen Entstehungsbedingungen nachzuweisen versuchte, aber jeden Anspruch ihrer kausalen Reduktion auf solche Entstehungsbedingungen mit gutem Grund zurückwies. In der Struktur der Sprache selbst, wie etwa Wittgenstein und Derrida sie analysiert haben, steckt bereits dies Potential einer kausal nicht erklärbaren Selbstüberschreitung, das Potential des Neuen, nicht Vorhersagbaren, durch das auch die Welt sich verändert. Hier wird insbesondere auch deutlich, daß von einer offenen Zukunft zu sprechen nicht bloß heißt, daß wir nicht wissen können, was die Zukunft bringen wird, weil wir nicht alle kausalen Determinanten des weltlichen Geschehens überblicken können; es heißt vielmehr, daß die Zukunft, unsere Zukunft als geschichtlicher Wesen, obwohl für jeden Einzelnen begrenzt durch unsere Hinfälligkeit als Naturwesen und durch das Einwandern gesellschaftlicher Machtverhältnisse in unsere Körper, ihrer ontologischen Struktur nach offen ist, offen für unabsehbar Neues selbst dann noch, wenn uns zu Zeiten eine soziale Konstellation als ausweglos determiniert oder wenn uns gar die geschichtliche Welt im Ganzen als ein geschlossener Verblendungszusammenhang erscheinen mag. Auch Auschwitz und andere Barbareien des vergangenen Jahrhunderts und der Gegenwart sind kein Gegenbeweis, denn auch zu solchen Barbareien ist der frei Wille fähig: die Freiheit des Geistes kann sich auch in der Form eines radikal zum Bösen pervertierten Willens manifestieren. Auch für die Freiheit des Geistes als Korrelat des freien Willens gilt, was ich oben über die Natur im Geist als Schranke wie als Ermöglichungsbedingung seiner Freiheit gesagt habe: Als Schranke erweist sich die Natur im Geist nicht zuletzt in unserer physischen und psychischen Verletzbarkeit, in Krankheit und Tod, sowie darin, dass die gesellschaftliche Präformierung unserer lebendigen Natur individuelle und gesellschaftliche Möglichkeitshorizonte nicht nur eröffnet, sondern sie auch einschränkt; zugleich ist die Natur als ermöglichende Bedingung auch noch in jenen produktiven Leistungen des menschlichen Geistes wirksam, durch die immer wieder Neues in die Welt kommt, Gerade in der Kunst werden Zonen des Unbewussten, werden Phantasie, Affektivität und das mimetische Vermögen als Aspekte unserer lebendigen Natur zu produktiven Instanzen; ein reiner Geist könnte weder Kunstwerke schaffen noch überhaupt einen Willen haben. Die Offenheit der Zukunft manifestiert sich auch in der Praxis der Geisteswissenschaften: denn sofern sie, wie die Geschichts- und Literatur-, Kunst- und Kulturwissenschaften immer auch interpretierende Wissenschaften sind, sind sie zwangsläufig immer wieder neu interpretierende Wissenschaften; durch die Deutung der geschichtlichen Welt, die Deutung von Traditionen und von literarischen und künstlerischen Dokumenten wird – zumindest potentiell – nicht nur das Vergangene immer wieder neu, affirmativ oder kritisch, angeeignet, es wird auch immer wieder neu als ein auf unsere offene Zukunft bezogenes Vergangenes sichtbar. Als interpretierende Wissenschaften sind die Geistes- und Kulturwissenschaften daher auch in einem anderen Sinn in einen Wahrheitsstreit verwickelt als die Naturwissenschaften. Denn ein Streit um die Wahrheit, insbesondere um eine existenziell bedeutsame Orientierungswahrheit ist ihrem Gegenstand selbst schon, der Geschichte, den kulturellen Traditionen und den literarischen Dokumenten in unauffälliger oder manifester Weise einbeschrieben. Als interpretierende Wissenschaften sind die Geisteswissenschaften auch in diesen Wahrheitsstreit immer schon verwickelt, selbst wo sie in scheinbarer Objektivität sich aus diesem Wahrheitsstreit herauszuhalten versuchen. Nur deshalb können sie auch zu jenem nicht technischen, sondern praktischen Orientierungswissen beitragen, durch welches sie eine unverzichtbare Rolle in unserer Kultur, für unser Verhältnis zur kulturellen Tradition und damit auch für unser Selbstverständnis spielen. Diese Wissenschaften sind, das will ich sagen, nolens volens in den Streit um unsere praktischen Orientierungen und um ein angemessenes Verhältnis zur Tradition verwickelt. Nirgends ist dies so deutlich geworden wie in der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, in der die Geisteswissenschaften den ganzen Spielraum zwischen einer konformistischen, die bestehenden Machtverhältnisse stützenden und einer kritischen, alternative Orientierungen öffnenden Aneignung der Tradition ausgemessen haben. So sind nach dem Konformismus eines großen Teils der Geisteswissenschaften in der Zeit des Nationalsozialismus nicht zuletzt von Emigranten wie Adorno Impulse für ein neues, produktives und kritisches Verständnis der von den Nazis korrumpierten Traditionen der deutschen Philosophie, Literatur und Musik ausgegangen, Impulse einer kritischen Rettung der Tradition, die in dieser Tradition die Spuren ihrer Zugehörigkeit zum europäischen Prozeß der Aufklärung erst wieder sichtbar machten – entsprechend der Forderung Walter Benjamins, in jeder Epoche müsse „versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen,“ Diese Forderung aber bleibt, wie ich glaube, eine gültige Forderung an die Geisteswissenschaften auch in Zeiten wie der unseren, in denen eine zunehmende politische und kulturelle Desorientierung und die postmoderne Beliebigkeit der Massenkultur einhergehen mit dem Konformismus eines technokratisch-ökonomischen Effizienzdenkens, das den Geisteswissenschaften die Luft zum Atmen, das heißt die Bedingungen ihrer Produktivität zu nehmen droht. Damit komme ich noch einmal auf das Programm eines reduktiven Naturalismus zu sprechen, dass ich im Vorangehenden als ein falsches philosophisches Weltbild kritisiert habe. Aber auch wenn es falsch ist, könnte es doch wirksam sein – die Begeisterung, mit der es in den Medien häufig aufgenommen wird, zeigt, dass es nicht ganz unwirksam ist. Damit aber könnte es fatale Folgen als Ideologie einer psychischen und sozialtechnischen Manipulationspraxis gewinnen mit tiefgreifenden, freiheitszerstörenden Konsequenzen für den Lebenszusammenhang demokratischer Gesellschaften, Ausdruck jenes Siegeszuges der instrumentellen Vernunft in der Moderne, dessen Konsequenzen schon Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung analysiert hatten. Man sollte daher meine Bemerkungen über die Freiheit des Geistes und die Offenheit der Zukunft nicht missverstehen: Diese Freiheit und diese Offenheit der Zukunft sind ebensowohl real als sie immer auch wieder, was den Spielraum dieser Freiheit und dieser Offenheit betrifft, bedroht sind, bedroht nicht durch eine deterministische Naturkausalität, sondern durch die Kausalität freiheitszerstörender gesellschaftlicher Entwicklungen. Aber ganz auszurotten sind diese Freiheit und diese Offenheit nicht, solange die Menschen nicht dem Bild gleichgeworden sind, das der reduktive Naturalismus von ihnen entwirft, Das aber wäre das vorläufig noch unausdenkbare Ende der geschichtlichen Welt, wie wir sie kennen.  Vgl. hierzu Peter Bieri, „Untergräbt die Regie des Gehirns die Freiehti des Willens?“, in: M. Heinze, Th. Fuchs und F.M. Reischies (Hgg.), Willensfreiheit – eine Illusion?, Berlin 2006, S. 36 f.  So etwa Wolf Singer; „Wenn eingeräumt wird, dass das bewusste Verhandeln von Argumenten auf neuronalen Prozessen beruht, dann muß es neuronalem Determinismus in gleicher Weise unterliegen wie das unbewusste Entscheiden, für das wir dies zugestehen. Dies folgt aus der zwingenden Erkenntnis, dass neuronale Vorgänge in der Großhirnrinde nach immer gleichen Prinzipien ablaufen und dass sowohl bewusste als auch unbewusste Entscheidungen auf Prozessen in dieser Struktur beruhen. Wenn dem aber so ist, warum räumen wir den bewussten Entscheidungen einen anderen Status ein als den unwillkürlichen, warum wähnen wir Erstere unserer Intention und Wertung unterworfen und sind bereit, für sie besondere Verantwortung zu übernehmen?“ Wolf Singer, „Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung. Zwei konfliktträchtige Erkenntnisquellen“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 2/2004, S. 251.  Vgl. Donald Davidson, „Mental Events“, in: ders.: Actions and Events. Oxford 1980.  AaO. S. 312 f.  Jürgen Habermas, „Freiheit und Determinismus“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 6/2004, S. 883.  So auch Gerhard Roth, für den die Hirnprozesse auch die Bedeutungsebene mit einschließen sollen. S. Gerhard Roth, „Gehirn, Gründe, Ursachen“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 5/2005, S. 695. Aber auch eine funktionalistische Betrachtung von Hirnprozessen, wie Roth sie vorschlägt, kann die „Bedeutungsebene“ nicht in einen kausal-deterministischen Zusammenhang von Hirnprozessen integrieren. S. auch unten Abschnitt 7.  Vgl. Martin Seel, „Teilnahme und Beobachtung. Zu den Grundlagen der Freiheit“, in: ders.:Paradoxien der Erfüllung., Frankfurt am Main 2006, S. 146 ff.  Negative Dialektik, aaO. S. 294.  Curt John Ducasse, Causation and the Types of Necessity, Toronto/London 1969.  AaO. S. 150, 152.  Walter Benjamin, „Über den Begriff der Geschichte“, in: Gesammelte Schriften 1.2, Frankfurt am Main 1972, S. 695.     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